Früher war das „Verkaufen“ oder die „Differenzierung ihrer Marke“ für Lehreinrichtungen in der Schweiz oder anderswo nicht wirklich ein Thema. Studentenanmeldungen gingen in Strömen ein und der Wettbewerb war begrenzt und hauptsächlich lokal. Heute jedoch zwingen Globalisierung und Digitalisierung sowie neue Konkurrenzformen den akademischen Bereich allmählich zu einem marketingorientierteren Ansatz.
Ein herausfordernder Lernprozess, da man den Bildungsbereich im Allgemeinen als marketingresistent bezeichnen könnte. Und doch bietet sich hier eine echte Chance für diejenigen, die sich dafür entscheiden, in ihre Marke zu investieren. Wir haben das Thema in Gesprächen mit Lynn Strebel, Jérôme de Meyer und Michael A. Grund, drei Führungskräften aus dem Schweizer Bildungssektor, reflektiert.
Die Zeiten ändern sich
Über 70 private Bildungseinrichtungen. Die weltweit höchste Anzahl Spitzenuniversitäten pro Einwohner (ARTU Top-200-Ranking). Und eine Bildungsgeschichte, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Die Schweiz ist schon lange ein akademisches Utopia.
Doch die Digitalisierung und Globalisierung des Wissens schreitet immer schneller voran und stellt unsere „Bildungsinsel“ auf den Prüfstand. Lynn Strebel, Leiterin des privaten Sprach- und Lernzentrums Academia Education, ist überzeugt, dass „die unsichtbaren Mauern um die Schweiz irgendwann fallen werden“.
Lynn Strebel spricht von zwei Wettbewerbsfaktoren, die sich aus der Digitalisierung ergeben: Erstens hat sich das Einzugsgebiet erheblich vergrössert (eine Londoner Universität kann beispielsweise einen Online-MBA für Berufstätige in der Schweiz anbieten), und zweitens verschwinden die Eintrittsbarrieren. „Heute kann sich jeder Freiberufler mit einer Website als Schulungsinstitut positionieren“, so Strebel.


Lehrpläne bringen keinen Wettbewerbsvorteil
In einem derartig wettbewerbsintensiven Umfeld haben Privatschulen und Universitäten, Sprachschulen und Berufsausbildungsprogramme alle ein gemeinsames Ziel: sich von der Masse abzuheben und die Aufmerksamkeit der Kandidaten zu gewinnen. Die Differenzierung kann auf verschiedene Weise erfolgen: Standort, Infrastruktur und Qualität der Ausbildung sind Verkaufsargumente, die von allen angepriesen werden. Aber sind das auch tatsächlich Alleinstellungsmerkmale? Jérôme de Meyer, geschäftsführender Direktor des Beau Soleil und von Nord Anglia Education Switzerland, erklärt: „Bei nationalen und internationalen Lehrplänen ist die Bildungsqualität eine Voraussetzung für alle Schulen, aber sie ist nicht das, was eine Schule von der anderen abhebt oder sie erfolgreich positioniert.“
Die Chancen sind gering, dass ein einzelnes Merkmal wie der Lehrplan einer Schule oder ihr Alumni-Netzwerk den Unterschied ausmachen. Meistens entsteht ein starkes mentales Image durch eine Mischung aus greifbaren und ungreifbaren Faktoren. Michael A. Grund, Leiter der Abteilung Marketing und Unternehmenskommunikation an der HWZ Zürich, spricht darüber, wie wichtig es für eine Schule ist, „in den Köpfen der Leute etwas zu repräsentieren.“ Es besteht kein Zweifel. Hier geht es eindeutig um Markenbildung.
Ethik und Marketing
Durch den Besitz einer Marke können Bildungseinrichtungen direkte Vergleiche mit der Konkurrenz vermeiden und in gewissem Masse die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Harvard ist die Universität der Weltelite. Die Universität St. Gallen ist die Universität der Businesswelt in der DACH-Region (Deutschland-Österreich-Schweiz). Die Ecole Hotelière de Lausanne ist die weltweit führende Hotelfachschule. Die Positionierung einer Marke basiert auf akademischen, geografischen und historischen Gegebenheiten. Wenn eine Marke einmal positioniert ist, profitiert sie von einem intrinsischen Wert, der nicht mehr bewiesen werden muss. Wenn ehemalige Harvard-Studenten jemandem erzählen, dass sie auf Harvard studiert haben, lassen sie im amerikanischen Sprachgebrauch „die H-Bombe platzen“ – soviel zum Markenpotenzial dieser Universität. Michael A. Grund bestätigt, dass „Studenten der Marke einer Institution in ihrem Auswahlprozess oft ein grosses Gewicht beimessen“.
Nichtsdestotrotz zögert der Bildungssektor, sich einem marktorientierteren Ansatz zuzuwenden. Nach Ansicht von Jérôme de Meyer „wird in einem Wettbewerbsumfeld die Diskussion über Markenbildung mehr und mehr akzeptiert, obwohl noch eine gewisse Sensibilität herrscht.“ Die Herausforderung besteht darin, eine Balance zwischen ethischer Verantwortung und Vermarktungszweck zu finden. Eine „Bildungsmarke“ sollte nicht auf Kosten des Lehrbetriebs und/oder der Forschung geschaffen werden. Was ist also der richtige Ansatz? Diese drei Eckpfeiler bilden die Grundlage für die Schaffung einer authentischen Bildungsmarke.



Kontextualisierung durch Storytelling
„{Der Stellenwert} von Mundpropaganda ist in den letzten 30 Jahren gleich geblieben“, erklärt Lynn Strebel. Und das trotz des Aufkommens von sozialen Netzwerken. Die Entwicklung einer Markengeschichte (oft als Storytelling bezeichnet) ist für die Förderung der Mundpropaganda unerlässlich. Erfolgreiches Storytelling stellt Verbindungen zwischen ansonsten eher trockenen Fakten her. Und gerade diese Kontextualisierung ist es, die es so effektiv, einprägsam und vermittelbar macht.
Am Beispiel des Rebrandings des EMBA-Programms der EPFL, dessen sich Creative Supply angenommen hat, lässt sich die Kraft des Storytellings sehr gut demonstrieren. Mit Blick auf die immer kleiner werdende Lücke zwischen Wirtschaft und technik unterstreicht das Programm die Bedeutung neuer Managementfähigkeiten und legitimiert die Rolle der EPFL bei der Ausbildung der Führungskräfte von morgen.
Anstatt nur seine verschiedenen Vorzüge aufzuzählen, kontextualisiert der EPFL EMBA sein Programm, indem er eine Geschichte erzählt, die ein breites Publikum von Studieninteressierten und deren Arbeitgebern anspricht. „Mit der EPFL zum Innovationsführer werden“ ist in der Tat eine fesselnde Geschichte. Dank des neuen Erzählansatzes in Kombination mit einer grafischen Neugestaltung stieg die Zahl der Anmeldungen im Zeitraum von 2016 bis 2020 um 47 %.

Unterschiedliche Zielgruppen berücksichtigen
Privatschulen und Universitäten müssen nicht nur die Studenten, sondern auch deren Eltern für sich gewinnen, während sich Weiterbildungsprogramme sowohl an Arbeitgeber als auch an Arbeitnehmer richten. Diese Zweidimensionalität ist für viele Einrichtungen entscheidend. „Für die Eltern stehen langfristige Verkaufsargumente im Vordergrund, während für die Schüler die kurzfristigen überwiegen. Eltern wollen ihren Kindern eine gute Zukunft sichern. Die Schüler wollen die Freizeitangebote und ein attraktives Sozialleben.“ Das Storytelling sollte daher an verschiedene Zielgruppen angepasst werden.
Das Schweizer Datenmanagement-Portal OLOS positioniert sich als Hüter der Datenhoheit und ist ein gutes Beispiel für die Anpassungsfähigkeit einer Geschichte. Die Benutzer, in diesem Fall Wissenschaftler, werden durch das Verkaufsargument der Benutzerfreundlichkeit angelockt, während die Serverzuverlässigkeit die Universitäten überzeugt.


Ein Markenimage aufbauen
Eine Geschichte zu erzählen ist gut. Vorzeigen ist besser. Die Bedeutung visueller Medien (allen voran soziale Netzwerke und Websites) nimmt stetig zu, sodass es im besten Interesse von Bildungseinrichtungen liegt, ihr grafisches Erscheinungsbild zu pflegen. Doch leider mangelt es dem visuellen Markenauftritt vieler Einrichtungen an Originalität. Es scheint, als würden sie alle das gleiche Rezept verwenden: ein Bild eines Schülers, der in die Kamera lächelt wird mit einem handgeschriebenen Slogan gekrönt, „um das Ganze etwas aufzupeppen“.
Die Privatschule Institut International de Lancy (IIL) schwimmt gegen den Strom, indem sie konzeptuelle Begriffe visualisiert – „bilingualer Ansatz“ oder „Anti-Mobbing-Programm“ lassen sich mit Illustrationen wirkungsvoller vermitteln. Für ihre Kommunikationskampagne 2021 arbeitete die Genfer Schule mit Creative Supply zusammen, um eine Reihe von Mini-Geschichten zu erstellen.
Die Kampagne löst sich weitgehend von Branchenklischees und zeigt Bilder von Schülern in Aktion mit kurzen Texten, die von ihren zukünftigen Karrieren erzählen – Karrieren, die die Bildungsschwerpunkte der Schule widerspiegeln: Naturwissenschaften, Technik, Umwelt und internationale Zusammenarbeit. Die grafische Gestaltung hebt das IIL nicht nur von der Masse ab, sondern unterstreicht auch die Positionierung des Instituts als eine Schule, die „Education for Life“ (Bildung fürs Leben) verspricht.



Möge die beste Geschichte gewinnen
Zukunftsorientierte Ausbildungsinstitute sehen in der Markenbildung die Gelegenheit, ihre Medienpräsenz zu verstärken, Talente anzuziehen und ihre Studiengebühren zu erhöhen, um weitere Forschungsaktivitäten zu finanzieren. Die Widerwilligen hingegen werden alles tun, um sich dem Markenwettbewerb zu entziehen, und ihre Kollegen dafür verurteilen, „zu kommerziell“ zu werden. Ironischerweise ist dieser Widerstand selbst auch eine Markengeschichte: das „traditionelle Institut, das nur auf die Qualität seines Lehrplans schwört“.
Die Zukunft wird zeigen, welche Geschichte die Studenten in der Schweiz und anderswo überzeugender finden.
Das Original dieses Artikels wurde erstmals im PME Magazine’s Blog veröffentlicht.